Karoline Rudolphi (1754 - 1811)
Der Morgen
Verlaßt mich, ihr des Lebens finstre Sorgen,
Verlaßt mich, o er ist erwacht,
Im Frühlingsglanz erwacht, der lichte Morgen;
Enflohn ist das Gewölk' der Nacht.
Dort kömmt er her; von dem bekränzten Hügel
Glänzt schon sein erster goldner Strahl:
Und Leben weht von seinem Purpurflügel,
Und frischer Duft ins Blumenthal.
Dort kömmt er her; auf seinem lichten Pfade
Begrüßt ihn ein entzücktes Chor;
Die Heerde blöckt am lachenden Gestade
Ihm ihre lauten Freuden vor.
O alles singt dem jungen Tag' entgegen,
Und freut des neuen Lebens sich,
Sein Athem haucht der ganzen Schöpfung Segen;
Sein süßer Hauch belebt auch mich.
Ich singe den, der in die ewge Stille
Ein Tröpfchen seines Lebens goß.
Ich preise laut der Seligkeiten Fülle,
Die aus dem Tröpfchen Lebens floß.
O du, der für der Schöpfung reinste Wonne
So offen dieses Herz gemacht!
Vernimm den Dank, der mit der Morgensonne
In meiner treuen Brust erwacht.
Dir töne, dir das erste meiner Lieder,
Der du so väterlich mich liebst;
Sieh gnädig auf mein kleines Opfer nieder;
Ich opfre gern, was du mir giebst.
Du gabst mir nicht, was niedre Wünsche stillet,
Nicht Gold; doch gabst du mir Gesang;
Sieh diese Thräne, die mein Auge füllet,
Sieh, Vater, meinen stillen Dank.
Erhalte mir die seligen Gefühle,
Erhalte des Geschenks mich werth;
Bewahre mich, daß diesem Saitenspiele
Nie ein entweihter Ton entfährt.
Bewahre mich vor Stolz und jedem Fehle,
Gieb, daß mein Lied der Wahrheit treu,
Und, Vater, gieb, daß meine ganze Seele,
Wie mein Gesang, stets Wohllaut sey.
Gieb, daß mein Leben, bis zum letzten Schlage
Des Herzens, unschuldvoll verfließt;
Gieb Muth dem Geist, wenn er am großen Tage
Die Morgensterne näher grüßt.
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Max Haushofer Jr. (1840 - 1907)
Milde Tage
Es gibt so manche Tage,
Wo recht mit junger Pracht
Wie eine todte Sage
Vergangnes Glück erwacht;
Da kommt für jede Seele
Ein Frühling wunderbar,
Der weckt mit frohem Drange
Das Herz und das, was lange
In ihm begraben war.
Da rührt die goldne Schwinge
Die Königin Poesie;
Da schau`n uns alle Dinge
Mildlächelnd an, wie nie;
Da rauscht es durch das Leben,
Ein heil`ger Weihgesang;
Da zieht das Glück der Treue
Durch Tage sonder Reue
Dahin mit stolzem Gang.
Verdorrte Blumen ranken
Von neuem auf und blüh`n,
Entlaubte Bäume schwanken
Und werden wieder grün;
Die Seele wird zum Tempel,
D`rin eine Gottheit steht;
Die schenkt nach allen Seiten
Ein Meer von Seligkeiten
Und fordert kein Gebet.
Da kehrt allmählig wieder
Vergang`nes Leben ein
Und bringt die alten Lieder,
Den alten Sonnenschein;
Die alten Gedanken schweben
Einher im goldnen Kleid;
Die alten Götter leben,
`s ist jede Schuld vergeben,
Vergessen jedes Leid!
Cäsar Flaischlen (1864 - 1920)
Frühling
Das kannst du nicht zwingen:
daß die Knospen springen,
eh´die Sonne ihnen ihren Mai gebracht!
Aber da, was hinter dir liegt,
dich nicht schreckt mehr und unterkriegt:
was Winter in dir abzustreifen
in aller Stille...und Knospen zu reifen
und dich zum Frühling durchzuringen...
Das kannst du zwingen!
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