Alles muss raus Das Hummelkind in der Osterglocke Die Februarfee und das bunte ... Die fünfte Jahreszeit Frau Luise Star |
Im Garten Luise im Glück Vom übereifrigen Monat Mai Wann ist Frühling? Wie Frosch Hannes Chef vom Teich wurde |
Elke Bräunling
Wann ist Frühling?
„Wann ist Frühling?“, fragt der kleine Spatz.
Er sitzt im Apfelbaum auf dem Ast gleich neben dem Vogelhaus. Es ist leer. Die Gartenvögel haben all das Futter, das Oma Klein am Morgen gebracht hat, aufgegessen. Der Bauch des kleinen Spatzen ist … auch leer. Er hat am Morgen nämlich keine Zeit gehabt, gleich zur Futterstelle zu fliegen wie sonst auch. Nein, er hat etwas Wichtigeres vorgehabt und nun ist er hungrig. Sehr. Und er sagt es auch.
„Warum kommst du auch so spät, kleiner Spatz?“, fragt das Eichhörnchen, das unter ihm im Schnee hockt und vergebens versucht, den Boden aufzugraben, um dort seine Vorräte hervorzuholen. „Was kann im Winter wichtiger sein als Nahrung zu suchen?“
„Das ist es ja!“, schimpft der kleine Spatz. „Es ist nicht mehr Winter. Nein, Frühling ist’s. Die Menschenfrau hat es gesagt.“
Das Eichhörnchen kichert. „Frühling? Jetzt? Sieh dich um! Schnee! Überall liegt noch immer dieser kalte, unfreundliche Schnee. Er versperrt mir den Weg zu meiner Vorratshöhle hier neben der großen Wurzel. Das passiert nur, wenn es Winter ist.“
„Die Haseln blühen“, brummt der kleine Spatz. „Die Weiden auch und unter Blättern habe ich kleine weiße und gelbe Blümchen gesehen. Frühlingsblümchen hat Oma Klein sie genannt.“
Hm! Das Eichhörnchen staunt. „In der Tat! Blümchen gibt es im Winter keine. Solange die Bienen noch schlafen, werden keine Blumen blühen.“
„Sagt das auch Oma Klein?“, fragt der kleine Spatz.
Das Eichhörnchen nickt. „Oma Klein ist eine sehr kluge Menschenfrau. Und wenn sie sagt, es ist bald Frühling, dann sollten wir ihr glauben. Nur: Ich sehe ihn nicht. Ich kann ihn auch nicht riechen, nicht schmecken und nicht fühlen. Im Gegensatz zum Winter.“
Der kleine Spatz seufzt. „Eben!“, murrt er. „Rate, warum ich am Morgen keine Zeit zum Essen gefunden habe!“
„Und warum, kleiner Spatz?“, fragt das Eichhörnchen.
„Weil ich ihn gesucht habe, den Frühling. Überall habe ich nachgesehen. In den Gärten, auf der Wiese, in den Weinbergen. Sogar bis zum Wald bin ich geflogen. Vergebens. Überall hockt nur der Winter, dieser scheußliche, kalte Kerl, und lässt es sich gut gehen. Ich glaube, er hat mich ausgelacht.“
„Hm. Hm. Und nun? Was können wir tun?“
„Warten!“ Der kleine Spatz schließt die Augen. „Warten und hungern und … Da, Achtung! Da kommt ein Mensch. Versteck dich!“
Doch zu spät. Oma Klein kommt schon um die Ecke. Sie hinkt ein bisschen in dem tiefen Schnee.
„Na ihr beiden!“, ruft sie ihnen zu. „Sucht ihr auch den Frühling? Ich habe so große Sehnsucht nach Sonnenwärme und Blütendüften und Frühlingsfreude.“
Sie sieht den kleinen Spatz an und das Eichhörnchen und muss lachen. „Nein, eure hungrigen Augen suchen etwas anderes, wie ich sehe. Ihr seid am Morgen wohl zu kurz gekommen? Wartet, ich bringe euch Futter.“
Und das tut Oma Klein auch. Feine Körner und Nüsse bringt sie, die sie für den kleinen Spatz ins Vogelhaus und für das Eichhörnchen in eine schneefreie Kuhle unter den Apfelbaum legt.
„Guten Appetit, ihr Lieben!“, sagt sie fröhlich. „Und wenn ihr gesättigt seid, suchen wir ihn gemeinsam, den Frühling. Er lauert schon, ich weiß es genau. Auf dem Kalender ist er nämlich bald da.“
Was ein Kalender war, wissen der Spatz und das Eichhörnchen zwar nicht, aber mit einem satten Bauch lässt es sich bestimmt besser nach dem Frühling suchen.
© Elke Bräunling
*mit freundlicher Genehmigung der Autorin
Gisela Brix
Wie Frosch Hannes Chef vom Teich wurde
Mitten in einer Wiese am Waldrand gab es einmal einen kleinen Teich, in dem viele Frösche wohnten.
In jedem Frühling fanden Wettkämpfe statt, bei denen der stärkste Frosch zum Anführer gewählt wurde. Der Anführer bestimmte danach ein ganzes Jahr lang, was jeder Frosch im Teich zu tun hatte, er bekam das leckerste Essen und braucht nicht zu arbeiten.
Es gehörte aber sehr viel dazu, um als Anführer gewählt zu werden. Wer am längsten unter Wasser blieb, am schnellsten schwamm und am weitesten springen konnte, der hatte gewonnen.
Viele Tage lang übten die Frösche. Sie hielten sich die Nase zu und tauchten so lange, bis sie einen ganz roten Kopf bekamen. Sie schwammen so schnell, bis ihnen die Puste ausging, und sie sprangen von Seerosenblatt zu Seerosenblatt, bis ihre Beine vor Erschöpfung zitterten.
Ein Frosch in diesem Teich hieß Hannes. Er war etwas kleiner und auch schwächer als die anderen. Er wusste genau, dass er bei diesen Wettkämpfen nie gewinnen konnte.
Hannes saß lieber am Rand des Teiches und schaute sich die Gegend an. Er dachte nach oder unterhielt sich mit einem Hund, der jeden Tag zum Trinken an den Teich kam. So erfuhr Hannes viel von dem, was in der weiten Welt geschah.
Eines Tages aber kam ein Storch an den Teich. Die Frösche sahen ihn nicht, weil sie alle viel zu sehr mit ihren Übungen für den Wettkampf beschäftigt waren.
Hannes aber, der wie immer am Teichrand saß, bemerkte die große Gefahr – Frösche sind für einen Storch ein Leckerbissen.
Hannes hatte wie jeder Frosch große Angst vor dem Storch, aber er wusste, dass er unbedingt etwas unternehmen musste. Er holte tief Luft, sprang auf den Storch zu und rief ganz laut „wau-wau“.
Von seinem Freund, dem Hund, hatte er nämlich eine Fremdsprache gelernt.
Der Storch zuckte zusammen, schaute sich erschrocken nach allen Seiten um und flog schnell davon. Denn einem Hund gehen Störche lieber aus dem Weg.
Erst jetzt, als der Storch über den Teich davonflog, bemerkten die anderen Frösche die Gefahr, in der sie geschwebt hatten. Wenn Hannes nicht gewesen wäre und sie so mutig gerettet hätte, wäre es für sie alle schlimm ausgegangen.
Sie jubelten Hannes zu und wählten ihn sofort zu ihrem Anführer. Sie waren stolz auf Hannes, aber auch ein bisschen eingebildet. Denn sie kannten keinen Froschteich in der ganzen Umgebung, der einen Chef wie ihren hatte.
Man kann also sehen, dass es im Leben nicht nur auf Muskeln, sondern auch auf den Verstand ankommt.
© Gisela Brix
*mit freundlicher Genehmigung der Autorin / Aus dem Buch: "Kalle mit der grünen Mütze"
Barbara Pronnet
Die mutige Blaumeise
In einem Garten einer Kleinstadt standen herrliche Büsche und Tannenbäume. Im Frühling wenn die jungen Blätter wie ein grünes Kleid die Äste zieren, die Luft nach Blüten und Blumen duftete, dann sind auch die Zugvögel wieder im Land und in den Bäumen und Büschen herrscht aufgeregtes Leben.
Ein Zwitschern, Trillern und Jubilieren schallt dann durch die Luft und die kleinen gefiederten Sänger scheinen sich gegenseitig mit ihren Liedern übertrumpfen zu wollen.
Welch eine Farbenpracht war da zu sehen im dem kleinen Garten, das „zi-zi-be“ der Meisen, „twit twit twit“ des Kleibers. Prächtige Finken tummelten sich im Geäst und veranstalteten einen Radau der fast an Lärmbelästigung grenzte.
Die Besitzer des Gartens fanden es aber wunderbar und lauschten bei geöffneter Terrassentür dem täglichen Konzert.
Nun ja es war eben Brautschau angesagt, sich kennen und schnäbeln lernen, ein Nest bauen und Junge aufziehen, ein anstrengendes Vorhaben besonders für die männlichen Vögel, wussten sie doch das nur mit kraftstrotzender Ausdauer ein weibliches Vogelherz zu gewinnen war, ein herrliches Gefieder und ein robuster Gesundheitszustand war ebenso wichtig um eine Dame zu erobern.
Ein kleiner aber sehr kräftiger Blaumeisenmann zwitscherte was das Zeug hält. Seine kleine Brust bebte bei jedem Schrei. „Tsi Tsi Tsi“
Er war aber auch wirklich ein Prachtkerl, seine kleinen Augen funkelten und sein Scheitel hatte einen besonders schönen Blauton. Sein Gefieder glänzte in der Morgensonne und er könnte Äste ausreißen so energisch war er. Ein Angeber war er, sagten die anderen, erzählte ständig wie mutig er war, die Katze im Nachbarsgarten hatte er verscheucht in dem er sie attackiert hatte als wäre er eine große Elster, die Regenwürmer würde er seinen Konkurrenten aus dem Schnabel stehlen und beim größten Gewittersturm saß er oben auf der Tannenspitze und trotzte den Elementen.
Und jetzt will er natürlich die hübscheste Blaumeisendame heiraten. Eine hat er sich schon auserkoren, ein niedliches Ding, schlank und pfiffig, gesund sah sie aus und nicht uninteressiert. Sie hatte gestern zwar gelangweilt an ihrem Insekt gezupft als er vorbei flog aber sie hörte seinem Balzgesang zu und als er seine Geschichte von der Katze dem Kleiberpärchen und Dompaffmännchen erzählte hat sie ganz aufmerksam zugehört.
Ein bisschen würde er sie noch zappeln lassen aber dann wenn er ihr genug seine Männlichkeit präsentiert hatte würde er sie auf ein Treff in dem Vögelhäuschen das in dem kleinen Garten stand einladen. Die Besitzer waren so freundlich und streuten das ganze Jahr Futter hinein und der kleine Blaumeisenmann fand diesen Treffpunkt passend. Das sie ihn ablehnen könnte auf diese Idee kam er nicht, alle anderen Kerle sind doch Schwächlinge und sahen nur halb so gut aus wie er.
Es hätte wohl alles so einfach werden können wenn unser kleiner Aufschneider seinen Schnabel nicht ganz so weit aufgerissen hätte.
Eines Morgens, die Luft roch frisch und nach Frühsommer trällerten mal wieder alle um die Wette. Die Buchfinken hüpften auf der Erde nach Nahrung, eine müde Amsel saß im Vogelhaus und döste vor sich hin, die Kohlmeisen spielten frech miteinander.
Mittendrin im Busch erzählte unser Blaumeisenmann wieder einem jungen Zaunkönig das er grundsätzlich nur die fettesten Regenwürmer seiner Brut liefern würde, schließlich sollen die Kinder kräftig und gesund heranwachsen, er kenne da seine Stellen, natürlich nicht ungefährlich weil eine Katze und ein Hund dort lebten aber ihm mache das nichts aus, für die Familie natürlich nur das beste. Er plusterte sich auf, wohl wissend dass seine Auserkorene mit ihren Freundinnen in der Tanne daneben saß und gründliche Federpflege betrieb.
Einer der Buchfinken piff von unten hoch. „ Ja ja ist gut, wir wissen schon das du ein Kraftprotz bist“. Die Kohlmeisen glucksten zustimmend. „Unser Held kann es einfach nicht lassen mit seinen Geschichten“ trillerte ein zartes Rotkelchen und wippte mit ihrem Körper auf und ab.
„Nur kein Neid meine Lieben, ich bin eben so, von Natur aus versteht sich“ Der kleine Blaumeisenmann zitterte mit seinen Flügeln und zwar so das seine Angebetete sein Werberitual auch bemerkte.
„Wenn du schon so ein Held bist warum zeigst du uns dann nicht einer deiner Heldentaten, bis jetzt haben wir davon ja nur gehört“. Ein anderer Blaumeisenmann flog auf die Spitze des Vogelhäuschens so dass ihn jeder sehen konnte. Er war nicht hässlich, ein bisschen blass das Gefieder aber er sah jung und stark aus.
Wo kam der denn jetzt her? Das fehlte gerade noch das kurz vor der Erhörung der Liebsten ein Rivale auftauchte.
„Findet ihr nicht auch dass er seinen Mut beweisen sollte? Wie wär es denn mit einer Mutprobe du Klugscheisser“.
Jetzt wurde es still um das Vogelhäuschen. Alle richteten ihre Blicke zu unserem kleinen Sprücheklopfer. Auch sein Blaumeisenmädchen schaute interessiert auf ihn. So ein Mist, jetzt musste er das richtige sagen sonst war er unten durch und konnte sich gleich eine neue Balzstelle suchen.
„Wenn dir das so wichtig ist bitte? Vielleicht lernst du dann was“ sagt er verwegen aber sein kleines Vogelherz schlug schwer in seiner Brust. Hoffentlich kam nicht die Katze ins Spiel, denn ehrlich unter uns gesagt, stimmte das nicht so genau, er hatte nur ein bisschen angeben wollen, was ist schon dabei, die Katze hat ihn eigentlich gar nicht bemerkt.
„Also gut, ich weiss wie du uns dein Heldentum beweisen kannst und solltest du das wirklich schaffen dann Feder ab vor unserem Meisterhelden“ schrie der Rivale das es auch alle anderen hörten.
„Was soll er denn machen?“ fragte ein Kleibermann. Mit seiner schwarzen Zorromaske um die Augen sah er gefährlich aus, kopfüber saß er auf einem Ast und verfolgte die Situation interessiert.
Die Neugierde hatte jetzt aber wohl alle gepackt denn plötzlich kamen wie aus heiterem Himmel eine Horde Grünfinken und Tannenmeisen dazu. Umringt von Vogelscharen plusterte sich der Blaumeisenmann auf dem Vogelhäuschen auf.
„Morgen früh werden wir uns hier versammeln, genau zu der Zeit wenn unsere Menschen hier in dem Haus wach werden, ziemlich genau wenn wir gezwitschert haben geht die Terrassentüre auf. Genau dann fliegst du in das Haus, setzt dich auf den Stuhl der gleich in der Ecke steht und machst einen Klecks auf den Boden. Dann bleibst du noch etwas sitzen und fliegst wieder raus. Na wie ist es, ein Kinderspiel für einen wie dich oder?“ Völlig entsetzt hörte sich die Vögelschar die Mutprobe an und dann war das Gezwitscher groß. „Viel zu gefährlich“ piepste das Rotkelchen. „Unmöglich, zu riskant“ schmetterte der Zaunkönig. Die anderen Blaumeisen keckten untereinander.
Der blau schillernde Kopf unseres Blaumeisenmanns wurde blass, mit allem hatte er gerechnet aber das war schlimmer als seine eigene großspurige Phantasie. Mit Menschen wollte er nichts zu tun haben, sie taten ihm nichts aber nur weil er sich auf Abstand hielt: Sie halten sich Katzen, das muss man sich mal vorstellen.
Sicher das Vogelhäuschen, eine nette Geste, besonders im Winter, aber konnte man deswegen vertrauen? Das war nicht machbar, er war entlarvt als Feigling, er musste ablehnen, aufgeben, das Revier verlassen. Verstohlen äugte er zu seiner Verehrten und da sah er ihren Blick. Sie schaute ihn an, liebevoll, ermutigend, ich vertraue dir, sagte dieser Blick.
Sie war aber auch entzückend, ein Prachtmädel. Er holte tief Luft und verfluchte sich gleichzeitig.
„ Gut, ich mache es. Morgen wie besprochen“ und flog eilig davon.
Die aufgeregten und besorgten Nachrufe konnte er noch hören als er schon ganz oben auf einer Tannenspitze auf seinem Ast gelandet ist.
Sein Freund, eine ältere und weise Blaumeise flog ihm nach. „Bist du von dem Uhu gepackt worden? Das ist dein Todesurteil, das ist das Unheil herausfordern. Du weißt doch gar nicht was hinter diesen Mauern vor sich geht. Du wirst zerquetscht, getötet werden. Gib auf, sei schlau wie die Elster.“
„Ich kann nicht, es ist zu spät. Ich bin selber schuld mit meiner Angeberei, ich habe es mir selbst eingebrockt. Und es geht um mein Glück, ich bin verliebt und muss es beweisen.“
„Du hättest ihr deine Liebe auch durch deinen Gesang zeigen können, wenn sie dich liebt wäre es ihr genug.“ Sein Freund flog in die Luft und ließ ihn allein.
Es wurde eine grauenvolle Nacht für unseren kleinen Helden. Er tat kein Auge zu, die Nacht war klar und die Sterne funkelten am Himmel. Wunderschön sah das aus aber er sah es nicht, war im Gedanken bei der wahninnigen Tat die ihm bevorstand.
Morgen bin ich tot, dachte er, ich werde den Sommer nicht mehr miterleben, keine Liebe spüren, keine Kinder großziehen, ihnen keine Insekten in ihre kleinen hungrigen Schnäbel stecken die er zusammen mit seiner Liebsten unermüdlich sammeln würde. Sie nimmt sich seinem Rivalen und gründet mit ihm eine Familie. Das war’s. Aus. Traurig schloss er seine kleinen Augen und zitterte den morgigen Tag entgegen.
Der war ein herrlicher, windiger Tag mit warmen Sonnenstrahlen die den kleinen Garten in ein mildes Licht tauchten. Die Gesänge der Vögel in den Büschen und Bäumen kam einem Konzert nahe und alles war so harmlos und friedlich. Der kleine Blaumeisenmann hatte nur mit Mühe ein kleines Insekt gefrühstückt, alles andere wäre ihm nur im Halse stecken geblieben. Und pünktlich nach dem Fressen, Gefiederputzen und Gesang versammelte sich die gesamte Vogelschar um das Futterhäuschen, oben drauf wartete bereits der Rivale. Der hatte sicher gut geschlafen, voller Vorfreude auf sein Liebesglück. Die Schöne selbst saß auf einem Tannenzweig. Sie war ganz ruhig, sah aber besorgt aus. Sie hatte auch schlecht geschlafen, wollte etwas zwitschern zu ihrem Verehrer aber sie traute sich nicht. Fühlte sich irgendwie mitschuldig, typisch Meisenfrau eben.
„Ist das nicht ein wunderbarer Morgen? Seht nur, wie ich es gesagt habe, die Terrassentüre ist bereits geöffnet worden.“ Der Rivale nickte zu dem Haus und tatsächlich sie stand bereits offen, wie ein Höllentor lud sie zum letzten Flug ins Verderben ein. Alle Blicke richteten sich auf unseren kleinen Vogel der nur noch die Tür zum ewigen Jenseits sah. Das laute Pumpern seines kleinen Herzens konnten sie nicht hören, diese Schaulustigen auf seinem Weg zum Schafott.
Er holte tief Luft und flog los, nicht kneifen, einfach machen, jetzt war es zu allem Denken und Diskutieren zu spät. Er legte die Flügel an seinen Körper und schoss durch die Fenstertüre direkt zu dem Stuhl in der Ecke und ließ sich flatternd nieder.
Gehetzt schaute er sich um. Ruhig war es in dem hellen Raum. Nichts bewegte sich, er hörte nur von oben ein leises Summen. Das gleichmäßige Ticken einer Uhr. Nirgendwo eine Katze oder Hund. Noch lebe ich dachte er schnell, jetzt noch den Klecks und dann raus hier. Aber komisch, das was sonst ständig funktionierte, wollte nicht klappen. Sein kleines Hinterteil war wie gelähmt, er konnte einfach nicht, hatte nicht viel gefressen, vielleicht lag es daran, so ein Mist. Doch dann wie von selbst platschte der erhoffte Klecks auf den Boden. Ein Geschenk des Himmels. Er sah durch das Fensterglas die gesamte Vogelbrut sitzen, wie sie sich die Hälse verrenkten und die Augen aufrissen, entsetzt, neugierig, gehässig, scheu. So, jetzt nichts wie raus hier. Seine Mission war erfüllt.
Er wollte gerade los fliegen als er von oben eine Türe hörte und weil es ein windiger Tag war und es wahrscheinlich im Haus zog knallte die Terrassentür wie von Geisterhand in sekundenschnelle zu. Panisch und völlig kopflos flog der kleine Blaumeisenmann zu der geschlossenen Fensterfront und schlug mit seinem Kopf an das unsichtbare Nichts.
Draußen herrschte jetzt die volle Aufregung. Was war passiert? Warum kam er nicht raus? Um Himmels Willen das wollte doch keiner, nicht mal der Rivale. Besorgt schaute er auf seinen Artgenossen hinter der Glastüre der bewegungslos auf dem Boden lag. Es kam aber noch schlimmer denn die Hausherrin die im ersten Stock des Hauses den Luftzug verursacht hatte kam die Treppe herunter und sah den kleinen Vogel regungslos liegen.
Jetzt ist es aus mit ihm, dachten alle seine gefiederten Kollegen.
Vorsichtig hob die Frau die kleine Blaumeise hoch. „Na du kleiner Piepmatz, hast du dich verflogen?“ Langsam kam unser kleiner Vogel wieder zu sich, die warme hohle Hand die ihn zärtlich hielt spürte er als erstes: Benommen blickte er hoch und wollte gleich vor Angst sterben.
„Na dein Herz schlägt ja wie eine Trommel, ist doch nicht so schlimm, du bist wohl an die Scheibe geknallt?“ Zart strich sie über sein Gefieder und irgendwie meinte der Blaumeisenmann, wenn das der Tod ist dann werd ich das überleben. Er entspannte sich etwas und das Brummen in seinem kleinen Schädel ließ langsam nach. „Ich denke du kannst jetzt wieder in die Sonne, kleiner Freund“ Die Frau öffnete die Terrassentüre. Das ließ er sich nicht zweimal sagen, denn wenn dieser nette Mensch den Klecks am Boden sah überlegte er es sich vielleicht noch mal. Ihre warme Hand gab ihn frei und er flog wie Phönix aus der Asche in die ersehnte Freiheit.
Das war ein Empfang, ein Gekreische, Flügelschlagen, Kopfnicken und Schnäbeln. Der Held kam zurück, er hatte es geschafft, hatte die größte Mutprobe bestanden, er war kein unreifer Angeber sondern ein mutiger Kerl mit Lebenserfahrung. Der Rivale nickte ihm anerkennend zu und flog davon, für ihn gab es hier nichts mehr zu holen. Sein weiser Freund hüpfte auf ihn zu und steckte ihm eine frische Fliege in den Schnabel. „Hier mein Freund, das wird dir gut tun.“ „Danke“ sagte unser Held dankbar.
Er war noch zu aufgeregt und ließ stumm die Lobeshymnen über sich ergehen. Erschöpft saß er auf dem Dach des Futterhäuschens und genoss den Beifall. Wo war sie? Unter der ganzen Horde gefiederter Wilden konnte er sie nicht sehen. Sie war da, ganz hinter der Masse saß sie und beruhigte sich nur langsam. Sie hatte solche Angst um ihn gehabt, war sie doch schon lange verliebt in ihren Aufschneider. Wollte ihn noch zappeln lassen bevor sie ja sagte.
Die weise Blaumeise wies alle zurecht, spürte was jetzt kommen würde. „Kommt wir haben alle noch zu tun, lassen wir unserem Mutigen etwas Ruhe.“ Die bunte Vogelschar flog nacheinander in ihre Büsche und Bäume nicht ohne noch mal ein lautes Jubelrufen loszulassen. Was für ein denkwürdiger Tag.
Der Held und seine Angebetete blieben natürlich zurück. Langsam näherte sich die Schöne ihrem Prinzen. „Du hast es wirklich gewagt und überstanden. Ich gratuliere dir. Aber bist du auch so leichtsinnig mit deiner Familie?“ zirpte sie leise.
Unser Blaumeisenmann sah ihr fest in die Augen. „Nein, das dumme Gerede hat ein Ende und auch Mutproben müssen in Zukunft ohne mich auskommen. Ich will ein Nest bauen und mich um meine Familie kümmern. Mir fehlt nur noch die Richtige dazu.“ Seine kleinen Flügel zitterten geschmeidig vor ihren Augen auf und ab. „Wenn du mich noch willst?“ fragte er vorsichtig, so bescheiden wie nie.
„Ich hätte dich auch ohne deine Mutprobe genommen, du Wichtigtuer denn ich weiss das du das Herz am richtigen Fleck hast und mich und unsere Brut beschützen wirst. Was will ich mehr?“ rief sie fröhlich und als sie das zwitscherte, hüpfte er auf sie zu und sie schnäbelten wie wild.
Später als die Sonne hoch am Himmel strahlte flogen sie dicht beieinander durch die warme Luft und freuten sich ihres Lebens.
Ich habe es überstanden und meine Liebste bekommen, freute sich unsere kleine Meise und er wusste aber auch dass man ohne Heldentaten und Aufschneidereien sein Glück finden konnte. Aber ein bisschen Angeben zwischendurch ist auch schön, dachte er stolz, denn es hat ihm gezeigt dass er wirklich mutig war.
(c) Barbara Pronnet
*mit freundlicher Genehmigung der Autorin
Munter marschierte Luise drauflos. Ihre Sandalen trug sie in der Hand, die Hose war bis zu den Knien hochgekrempelt. Luise ging direkt am Wasser, sodass die Wellen über ihre Füße schwappten.
Sie fand es herrlich, auch wenn das Wasser jetzt im April noch kalt war.
Heute war ein besonders schöner Tag. Bereits am frühen Morgen war Luise von der Sonne geweckt worden, die durch einen Spalt zwischen den Gardinen ins Zimmer schien. Luise war aufgestanden, hatte sich angezogen und los ging es an den Strand. Hier genoss sie die Ruhe. So früh war der Strand menschenleer und Luise war mit sich und ihren Gedanken allein.
Das war für sie die schönste Zeit des Tages. Luise beobachtete die Möwen, die kreischend über das Meer flogen und hineintauchten, wenn sie einen Leckerbissen entdeckten. Sie mochte die großen Vögel und liebte es, ihnen zuzusehen.
Während Luise in ihre Beobachtungen vertieft war, kam ein Hund über den Strand zu ihr gelaufen. Vor ihr blieb er schwanzwedelnd und bellend stehen. Dieses Bellen klang nach einer Aufforderung.
Luise blickte zu dem Hund und schaute sich um. Als sie niemanden entdeckte, beugte sie sich zu dem Tier und sagte: „Na, mein Freund! Zu wem gehörst denn du?“
Der Hund, ein Mischling, bellte kurz und stupste Luise an. Er wandte sich um und lief ein Stück, blieb jedoch kurz darauf stehen und sah Luise auffordernd an. Es war, als ob er sagen wollte: „Komm schon!“
Luise folgte dem Tier. Der Hund führte sie in Richtung der nahen Felsen. Als die beiden sich diesen näherten, hörte Luise eine schwache Stimme. Luise beschleunigte ihren Schritt, um nachzusehen, was geschehen war. Als sie um die Felsen herumbog, sah sie den Hund. Dieser hockte neben einem Mann, der zwischen den Steinen lag. Luise sah sofort, dass er Hilfe brauchte. Das linke Bein lag verdreht da und war bestimmt gebrochen.
Der Mann sah Luise an und sagte: „Ein Glück, dass sie kommen. Ich dachte, ich müsste hier noch Stunden liegen.“ Luise ging neben dem Mann in die Hocke, um sich die Sache genauer anzusehen. „Sie haben Glück, dass ihr Hund mich geholt hat. Bis zu den Felsen gehe ich normalerweise nicht. Mein Name ist Luise Hermann. Es sieht aus, als wenn ihr Bein gebrochen ist. Zum Glück habe ich mein Handy dabei. Ich rufe sofort Hilfe.“
Gesagt, getan. Luise rief den Rettungsdienst und dieser war kurze Zeit später vor Ort.
Inzwischen hatte sich der Verletzte als Walter Boehme vorgestellt. Als die Sanitäter ihn abtransportieren wollten, sagte er: „Halt, was wird aus Willy? Ich kann den Hund nicht hier zurücklassen.“
Luise beruhigte ihn. „Ich kümmere mich um Willy. Sagen Sie mir, wo Sie wohnen und ich bringe ihn zu Ihrer Frau. Die wird sich bestimmt Sorgen um Sie machen.“ Walter schüttelte den Kopf. „Ich bin nicht verheiratet. Es gibt niemanden, der sich um Willy kümmern könnte.“ „Dann werde ich Willy mit zu mir nehmen.“ Luise wandte sich an die Sanitäter. „In welches Krankenhaus bringen Sie Herrn Boehme?“
Nachdem Luise erfahren hatte, was sie wollte, erklärte sie Walter Boehme, dass sie sich um alles Weitere kümmern würde. Beruhigt ließ dieser sich ins Krankenhaus bringen. In den nächsten Tagen kümmerte Luise sich um Willy. Außerdem besuchte sie Walter Boehme regelmäßig im Krankenhaus. Er hatte ihr seinen Wohnungsschlüssel gegeben und Luise holte ihm die Dinge, die er brauchte.
Als Walter das Krankenhaus verlassen konnte, sorgte Luise weiter für ihn und Willy. Die drei verstanden sich gut und Luise freute sich, dass sie Walter und seinen Willy kennengelernt hatte. Diese zwei hatten ein ganz neues Glück in Luises Leben gebracht.
© Antje Steffen
*mit freundlicher Genehmigung der Autorin
Elke Bräunling
Die fünfte Jahreszeit
Die Jahreszeiten waren sich wieder einmal nicht einig. Dieses Mal stritten sie sich darum, zu wem die Fastnachtszeit gehörte.
“Mir! Wem sonst?”, sagte der Winter.
Der Herbst war empört. “Das sehe ich nicht so.”
“Wie das?”, fragte der Winter barsch.
“Na ja”, nuschelte der Herbst. “Du klaust mir schon genug von meiner Zeit mit deinen Frostnächten!”
“Stimmt”, rief der Frühling mit schriller Stimme. “Auch mir machst du das Leben schwer.”
“Blödsinn”, knurrte der Winter. “Ich mache meinen Job.”
“Und wir”, schimpften Frühling und Herbst, “müssen uns unsere Arbeit von dir immer wieder zerstören lassen.”
“Was regt ihr euch auf?”, meinte der Sommer gelassen. “Jeder tut seine Pflicht.”
“Du hast gut reden”, knurrte der Herbst. “Dich lässt der Winter in Ruhe.”
Der Winter lachte. “Im Sommer habe ich Urlaub.”
“Ha!”, rief der Herbst empört. “Und wenn dir langweilig wird, kommst du aus deiner Sommerfrische und pfuschst mir ins Handwerk.” Der Herbst war sehr erregt.
Auch der Frühling war wütend. “Die Menschen mögen dich gar nicht leiden”, feixte er. “Gerade zur Fastnachtszeit wollen sie dich vertreiben mit ihren Masken, dem Lärm und den Schimpfliedern. Sie rufen nach mir, ja, das ist die Wahrheit, und deshalb gehört die Fastnacht mir.”
“Unsinn!”, brüllte der Winter. “Mir gehört die Fastnacht.”
“Nein, mir!”, rief der Frühling.
Der Herbst heulte auf. “Ich will auch Fastnacht haben.”
“Und was ist mit mir?”, erregte sich der Sommer.
Sie begannen zu streiten. Sie stritten und schimpften und warfen sich so lange böse Worte an die Köpfe, bis ihnen keine mehr einfielen.
„Was nun?”, sagten sie kleinlaut.
“Fragen wir doch die Menschen!”, schlug der Sommer vor.
Die Menschen fragen? Eine gute Idee.
Sogleich machten sich die Jahreszeiten auf den Weg.
“Welche Jahreszeit soll zur Fastnacht regieren?”, fragten sie die Leute auf der Straße.
“Oh”, sagte eine Dame. “Frühling wäre schön. Da würde mir die Sonne warm auf die Nase scheinen.”
“Winter ist besser”, rief ein Junge. “Schneefastnacht ist prima.”
“Und ich”, meinte ein Mann, “könnte mir den Herbst gut als Fastnachtsnarr vorstellen. Wo er sich mit seinem Nebelwetter so vorzüglich hinter einer Maske verbirgt!”
Ein Mädchen aber rief: “Toll wäre es, zur Fastnacht in Sommerklamotten auf den Straßen herumzutoben.”
Die Jahreszeiten fragten noch viele Leute, doch jeder hatte eine andere Meinung.
Was nun?
Da trafen sie einen weisen alten Mann.
“Wie wäre es denn mit einer fünften Jahreszeit?”, schlug der vor. “So könntet ihr euch immer abwechseln.”
Eine prima Idee! Die Jahreszeiten waren begeistert.
“Gut, dass wir dich getroffen haben”, riefen sie. “Genauso werden wir es machen. Danke für deinen Rat.”
Und so kommt es, dass zur Fastnacht die ‘Fünfte Jahreszeit’ regiert, in der es einmal regnet, stürmt oder schneit, in der auch mal die Sonne frühlings- und sommerwarm vom Himmel lacht.
Verrückt, nicht? Doch die fünfte Jahreszeit ist eben verrückt, so wie es die Fastnacht auch ist.
© Elke Bräunling
*mit freundlicher Genehmigung der Autorin
Der Winter war vorbei, die Tage wurden endlich wieder länger und wärmer und die meisten Zugvögel waren aus dem Süden zurückgekehrt.
Auch die Stare waren schon da und hüpften auf dem Dach eines alten Hauses umher. Sie waren alle aufgeregt, schlugen mit den Flügeln und zankten sich schreiend um den besten Platz für ein Nest. Unter jede Dachpfanne schauten sie und erst, als jeder einen guten Bauplatz gefunden hatte, wurde es ruhiger – nun konnten sie einander kennen lernen.
Mal lauter und mal leiser flötend unterhielten sich die Stare miteinander und erzählten sich, wo sie den Winter über gewesen waren und was sie alles erlebt hatten. Dann begannen alle mit dem Bau ihrer Nester. Jeder gab sich Mühe, sein Nest so schön wie möglich zu machen.
Unter all diesen Staren und Starenfrauen gab es eine Starin die Frau Luise hieß. Sie unterhielt sich besonders gerne mit ihren Nachbarinnen, machte Besuche bei den Nestern nebenan und begann schon am Nachmittag zu singen – sie hatte ja sonst nichts zu tun.
Mittlerweile hatten alle anderen Starenfrauen mit dem Eierlegen begonnen, nur Frau Luise nicht – sie hatte keine Lust dazu.
Sie machte viel lieber ihr Nest mit Blüten noch schöner und hielt einen kleinen Schwatz. Aber keine der Nachbarinnen hatte noch Zeit, sie mussten ihre Eier ausbrüten und dafür brauchten sie all ihre Aufmerksamkeit.
Als Frau Luise das sah, fühlte sie sich sehr einsam. Wie gerne hätte sie auch Eier in ihrem Nest gehabt, sie ausgebrütet und sich dann nach einiger Zeit über ihre Kinder gefreut. Aber zum Eierlegen war es jetzt zu spät.
Was nützte ihr nun ihr schönes blumengeschmücktes Nest, wenn es leer war. Ganz traurig wurde Frau Luise. Allein saß sie auf dem Hausdach und schluchzte leise ein sehnsüchtiges Lied.
Eine ihrer Nachbarinnen hörte das und hatte Mitleid mit ihr. Sie schenkte Frau Luise eines ihrer Eier – sie hatte sowieso aus Versehen eines zu viel gelegt.
Frau Luise freute sich so sehr darüber, dass sie keinen einzigen Flötenton mehr herausbrachte. Vorsichtig trug sie das geschenkte Ei zu ihrem eigenen Nest, setzte sich darauf und war glücklich.
Jeden Tag sorgte sie nun dafür, dass das Ei die richtige Wärme bekam, drehte es immer wieder behutsam um und gab sich überhaupt sehr viel Mühe damit.
Als nach einiger Zeit aus allen Nestern das Piepsen der jungen Stare zu hören war, hatte auch Frau Luise ihr einzelnes Ei ausgebrütet und kümmerte sich ganz liebevoll um ihr Starenkind.
Und für das nächste Jahr nahm Frau Luise sich vor, rechtzeitig mit dem Eierlegen zu beginnen, denn wenn man einen Wunsch hat, muss man auch etwas dafür tun, damit er in Erfüllung geht.
© Gisela Brix
*mit freundlicher Genehmigung der Autorin / Aus dem Buch: "Kalle mit der grünen Mütze"
Endlich wird es wieder warm. Da müssen die Wintersachen weichen. Karin macht sich an die Arbeit. Schränke aufräumen ist angesagt. Bei ihrem Schrank fällt das nicht schwer. Die dicken Jacken und Pullover kommen in die Wäsche und verschwinden ganz hinten. Die braucht keiner mehr. Der Check der dünnen Sachen ergibt, dass alles vorhanden ist, was gebraucht wird. Karin ist froh, dass sie nicht mehr wächst. Zum Glück nicht einmal in die Breite.
Da sieht es bei den Kindern bestimmt anders aus. Wie kann es sein, dass die so schnell wachsen. Bestimmt passen die dünnen Jacken vom letzten Jahr nicht mehr. Karin beschließt, mit dem Schrank ihrer Tochter anzufangen. Sie geht zu Clara.
“Komm bitte mit, wir müssen deinen Schrank aufräumen. Ich glaube, du solltest ein paar Klamotten anprobieren.”
Clara lässt sich nicht lange bitten. Sie beschäftigt sich gerne mit solchen Dingen. Allerdings ist Karin nicht sicher, ob die Sache so einfach wird. Als erstes werden alle Sachen aus dem Schrank genommen und auf dem Fußboden verteilt. Die dicken Jacken und Pullover werden gleich beiseite gepackt. Alles andere muss geprüft werden. Clara sitzt mitten im Kleiderhaufen und nimmt nach und nach alles raus. Plötzlich entdeckt sie ihr Lieblingsshirt. Das hat sie schon zwei Jahre und Karin weiß, dass es im letzten Jahr bereits knapp war.
“Guck mal, Mama, mein Blumenshirt.”
Clara ist begeistert, weil sie es gefunden hat. Karin macht ein skeptisches Gesicht.
“Ach, Clara, ich weiß nicht, ob das noch passt. Probier bitte mal.”
Voller Tatendrang nimmt Clara das Hemd und will es anziehen. Es dauert nicht lange und sie steckt fest. Karin eilt ihrer Tochter zu Hilfe.
“Ich fürchte, wir müssen es aussortieren.”
Sofort zieht Clara einen Flunsch und Karin kann sehen, wie sich die Augen ihrer Tochter mit Tränen füllen. Hier muss schnell eine Lösung gefunden werden, sonst endet das Schrankaufräumen in einem Drama. Karin überlegt fieberhaft. Da hat sie eine Idee.
“Wie wäre es, wenn du Lilly holst. Vielleicht kann sie das Shirt von dir erben.”
Lilly ist Claras Lieblingsteddy. Er ist ziemlich groß und Clara liebt ihn über alles. Einen Moment sieht es so aus, als ob Clara dagegen ist. Aber dann läuft sie los und holt Lilly. Und Karin hat Glück, der Teddy passt perfekt in das Hemdchen. Clara strahlt und wirbelt zufrieden mit Lilly durch den Raum. Erleichtert atmet Karin aus. Wie gut, dass ihr der Teddy eingefallen ist. Jetzt kann es weitergehen. Noch einmal wird es kritisch, als Claras Lieblingsjeans an der Reihe ist. Karin guckt auf das Größenschild und weiß sofort, die muss weg. Ob dass wieder Tränen gibt? Karin hält die Hose in den Händen und guckt zu ihrer Tochter. Doch was ist das. Clara wirft einen Blick auf die geliebte Jeans und sagt:
“Ach Mama, können wir das olle Ding nicht wegtun. Ich glaube, die ist nicht mehr gut.”
Karin, die mit einer ganz anderen Reaktion gerechnet hatte, zuckt die Schultern und antwortet:
“Klar, ich glaube, die ist sowieso zu klein.”
Da jetzt die Strümpfe sortiert werden müssen, entlässt Karin ihre Tochter und macht den Rest alleine. Das Einräumen dauert zwar eine Weile, aber wenigstens ist die Gefahr von Tränen und Geschrei gebannt. Puh, geschafft. Alles ist entweder im Schrank oder in den Tüten für die Kleidersammlung. Jetzt erstmal einen Tee, bevor die Sachen ihres Sohnes drankommen.
Nach der Teepause fühlt Karin sich für den Kampf mit Florian gewappnet. Denn das es ein Kampf wird, ist vorauszusehen. Klamotten sortieren ist nichts, dass Florian interessiert. Flo ist in seinem Zimmer und baut mit seinen Legos Figuren und Gebäude. Er ist ein begeisterter Baumeister. Jetzt braucht Karin ihn und das wird ihm nicht gefallen. Sie geht zu ihm.
„Hallo Großer, komm bitte mit mir. Wir müssen kurz checken, ob du neue Sachen zum Anziehen brauchst. Der Winter ist vorbei und aufräumen ist dran.”
Wie erwartet, fängt Florian sofort an zu maulen.
“Ach Mutsch, kannst du das nicht allein? Ich hab’ grad überhaupt keine Zeit und du weißt sowieso am besten, was fehlt.”
“Nein, geht nicht. Ich habe da ein paar Sachen, die musst du anprobieren. Dauert nicht lange und danach kannst du sofort wieder zu deiner Baustelle.”
“Ich kann mich doch kurz an die Latte stellen, dann weißt du wie groß ich bin und kannst aussortieren.”
“Nee, nee, so einfach geht das nicht. Du weißt, dass die Sachen zu unterschiedlich sind. Nun komm, mit Clara bin ich fertig.”
Mit einem Gesichtsausdruck, der deutlich zeigt, dass Flo das Ganze für Zeitverschwendung hält, erhebt er sich und trottet hinter seiner Mutter her. Karin weiß, er wird nicht lange durchhalten, also legt sie gleich los.
“Hier, probier mal die Jacke. Die ist, glaube ich, ein bisschen zu klein.”
Florian nimmt die Jacke, schlüpft halb hinein und gibt sie seiner Mutter wieder.
“Hasst Recht Mutsch.”
Nachdem er zwei Hosen und ein Sweatshirt probieren musste, entlässt Karin ihren Sohn. Der zuckt die Schulter und meint:
“Hättest du doch allein machen können. Wusstest sowieso, dass die Sachen nicht mehr passen.”
Auf die Diskussion lässt Karin sich nicht ein. Sie lächelt nur und sagt nichts. Als Florian gegangen ist, räumt sie seinen Schrank wieder ein und notiert sich, was neu angeschafft werden muss. Das wird heute nichts mehr. Jetzt ist Feierabend. Karin nimmt die Liste und legt sie auf ihren Schreibtisch. Einkaufen ist Morgen dran. Wahrscheinlich wird es wieder Stress geben. Sie kennt das und will sich den Abend nicht damit verderben.
Der nächste Tag ist zum Glück Sonntag. Da kann die Bestellung in Ruhe in Angriff genommen werden. Da Karin und ihre Familie sehr ländlich wohnen, ist Karin froh über die Möglichkeiten des Internets. Hier hat sie im Lauf der Zeit ihre bevorzugten Einkaufsmöglichkeiten entdeckt. Nach dem Frühstück holt Karin zuerst Clara an ihren Schreibtisch.
„Komm, Clara. Wir wollen mal gucken, ob wir nicht ein paar schöne neue Sachen für dich finden.“
Clara ist sofort Feuer und Flame. Einkaufen im Internet bringt ihr viel Spaß. Sie lässt sofort alles stehen und liegen und läuft zu ihrer Mutter. Karin hat den Computer bereits gestartet und los geht’s.
„Als erstes suchen wir eine Jacke. Was meinst du? Welche Farbe soll sie haben?“
Clara runzelt nachdenklich die Stirn. Im letzten Jahr wäre die Antwort bestimmt rosa gewesen, aber aus dieser Phase ist sie rausgewachsen. Es dauert nicht lange, da kommt es ganz bestimmt aus dem Mund ihrer Tochter:
„Ich will eine lila Jacke haben. Meli hat auch so eine. Da ist hinten ein Pferdekopf drauf.“
Karin wackelt mit dem Kopf. Lila ist kein Problem, aber die Sache mit dem Pferdekopf wird wohl schwieriger.
„Mal sehen, was sich da machen lässt, Kleines. Ist der Pferdekopf wichtig?“
„Ach, ganz so wichtig nicht. Aber, wenn möglich, möchte ich ein schönes Bild drauf haben.“
„In Ordnung, lass uns auf die Suche gehen.“
Karin gibt die gewünschten Daten ein und im Nu erscheinen die Angebote. Karin und Clara gucken die Jacken an, die in Frage kommen und plötzlich ruft Clara:
„Guck mal, Mama. Die da, die sieht klasse aus. Die will ich haben!“
Karin schaut sich die Jacke genau an und vertieft sich in die Beschreibung. Das hört sich gut an und lieferbar ist sie zum Glück auch.
„Gut, dann bestell ich die. Was brauchen wir noch? Ach ja, zwei neue Hosen.“
Nach kurzem Suchen werden Mutter und Tochter hier fündig. Die eine Jeans ist genau wie die Jacke lila, die andere klassisch blau. Bei den T-Shirts geht es schnell. Clara hat T-Shirts mit Pferdemotiven entdeckt. Da sie und ihre Freundin Melanie gerade ihre Pferdephase haben, sind diese ideal. Damit ist die Kleiderauswahl für Clara beendet. Als nächstes ist Florian an der Reihe. Clara läuft in ihr Zimmer und freut sich darauf, bald ihre neuen Sachen anprobieren zu können. Karin beendet kurz den ersten Einkauf und geht los, um ihren Sohn ranzuholen.
Florian ist, wie schon am Tag vorher, mit seinen Bauwerken beschäftigt. Als seine Mutter ins Zimmer kommt, blickt er kurz auf, macht aber keine Anstalten, sich von seinen Spielsachen zu trennen.
„Hey, Flo, ich möchte kurz mit dir ein paar Klamotten aussuchen. Kommst du bitte mit zum Computer?“
Flo sieht seine Mutter genervt an. Zuerst brummt er nur, dann äußert er sich zum Wunsch seiner Mutter.
„Nee Mutsch, das kannst du wirklich alleine. Du weißt, was ich immer trage. Da brauch ich echt nicht dabei sein.“
Karin sieht ihren Sohn an und denkt: ‚Wie unterschiedlich die zwei sind. Clara würde nie auf die Idee kommen, mich alleine nach Klamotten gucken zu lassen. Sie lächelt und sagt im Hinausgehen:
„In Ordnung. Ich werde sehen, ob ich etwas finde, von dem ich denke, dass es dir gefällt. Ich möchte aber hinterher keine Klagen darüber hören, wenn die Sachen nicht richtig sind.“
„Bestimmt nicht Mutsch, ich weiß, dass du das gut machst und habe volles Vertrauen in dich.“
Einerseits freut Karin sich zwar darüber, dass Florian ihr zutraut, seinen Kleiderschrank alleine wieder zu bestücken. Andererseits findet sie es auch traurig, dass er nicht mal die Zeit hat, sich mit ihr eine halbe Stunde hinzusetzen, um Klamotten auszusuchen. Nach einem weiteren kurzen Blick auf ihren Sohn, der sie schon überhaupt nicht mehr beachtet, verlässt Karin sein Zimmer und macht sich auf den Weg zum Computer, um ihrem Sohn neue Sachen auszusuchen. Eine halbe Stunde später ist das erledigt und Karin lehnt sich zufrieden zurück. Jetzt kann sie den Sonntag genießen und entspannt abwarten, bis die Sachen geliefert werden. Sie geht in die Küche, um sich einen Tee zu kochen. Dabei gehen ihr ein paar Zeilen durch den Kopf:
Frühling, Kinder ist das fein.
Packt die dicken Sachen ein.
Dünne Jacken nehmt heraus.
Es weht ein warmer Wind ums Haus.
Alle sind jetzt gut gelaunt.
Die Blumen werden froh bestaunt.
Die Sonne lacht, es lacht das Herz,
denn es ist endlich, endlich März.
© Antje Steffen
*mit freundlicher Genehmigung der Autorin
Elke Bräunling
Die Februarfee und das bunte Ende des Winters
„Freude, Freude, Freude! Ich bringe Freude heute!“
Singend und jubelnd tanzte die Februarfee in die winterliche Februarzeit hinein. Sie schwang die Arme im Rhythmus ihres Tanzliedes und breitete sie weit über dem Land aus. Leicht und fröhlich wallte ihr hellroter Umhang, der mit bunten Tupfen geschmückt war, über Bäume und Sträucher, Gärten und Wiesen, Straße und Hausdächer. Und mit jeder ihrer Bewegungen rieselten viele runde, kunterbunte Tupfen wie tanzende Schneeflocken durch die Luft. Es waren so viele, dass man sie nicht zählen konnte. Und jeder Tupfer hatte eine andere Farbe.
Bunt. Bunt. Bunt. Ein Schillern in allen Tönen.
Es waren die Freudentüpfchen der Februarfee, die fröhlich bunt auf das Land herab schneiten.
Jedes Tüpfchen trug eine kleine Freude in sich. Eine gute Laune. Eine Hoffnung. Ein Fest. Ein Bild. Ein Lied. Ein Lachen. Ein Trösten. Einen leisen Augenblick Sorgenfreiheit. Ein Augenzwinkern. Ein Atemzug. Ein kleines Stück Leben.
„Freude, Freude, Freude! Ich bringe Freude heute!“, sang die Fee. „Das Land ist bunt in dieser Zeit des neuen Lichts in Fröhlichkeit. Freude, Freude, Freude! Ich bringe Freude heute!“
Überall konnte man es hören, das Lied der Februarfee.
“Freude! Freude! Die Tage werden länger, das Licht schimmert heller.”
Die Vögel erwachten als erste aus ihrer Winterstille. Hier und da saßen sie im verschneiten Astwerk und sangen ein vorsichtiges Liedchen. Die Eichhörnchen trafen sich zu kleinen Spielen in den Baumkronen, Hasen flitzten auf der Suche nach Nahrung durch verschneite Ackerfurchen und die Katzen gönnten sich ein erstes Sonnenbad. Haselsträucher und Weiden schmückten ihre Zweige mit gelben und weißen Blüten. An wärmeren Stellen am Waldrand oder hinter schützenden Mauern öffneten frühe Frühlingsblümchen vorsichtig ihre Blütenknospen. Sie zauberten klitzekleine gelbe, weiße und lilafarbene Tupfer in die verschneite Landschaft. Es war, als fingen sie die Farbtüpfchen der Februarfee auf und schillerten in deren Glanz.
Bunt. Bunt. Bunt.
Für eine Weile sagten die Menschen ihrer Winterlaune ‚Adieu‘ und ein Lächeln stahl sich auf ihre blassen Wintergesichter. Sie fühlten sich gut und mit jedem Tag ein Stückchen bunter. Narrenbunt ein wenig sogar.
Das freute die Februarfee. Weit hallte ihr Lachen über das Land … und von hier und da und dort lachte die kleine Welt zurück. Die Zeit der bunten, fröhlichen Fastnachtsnarren hatte begonnen.
Nur einer vergoss erste Tränen. Der Winter. Doch wen interessierte das in diesen Tagen?
© Elke Bräunling
*mit freundlicher Genehmigung der Autorin
*Mehr wunderschöne Geschichten von Elke Bräunling findet Ihr auf www.elkeskindergeschichten.de
Gisela Brix
Das Hummelkind in der Osterglocke
Es war ein schöner Tag im Frühling. Der Himmel leuchtete blau, die Sonne schien und alle Frühlingsblumen blühten. Da gab es weiße und lila Krokusse, rote Tulpen und neben dem Apfelbaum im Garten blühten viele gelbe Osterglocken.
In der Nähe wohnte eine Hummelfamilie mit Hummelvater, Hummelmutter und vielen kleinen Hummelkindern.
Am späten Nachmittag dieses schönen Tages rief die Hummelmutter ihre Kinder ins Haus. Die Hummelkinder hatten schon den ganzen Morgen und Nachmittag draußen gespielt und waren dabei recht schmutzig geworden. Nun sollten sie vor dem Abendessen noch sauber gebadet werden.
Die Hummelkinder hörten die Mutter rufen und kamen zu ihr, aber sie kamen ganz langsam, denn viele Kinder werden ja nicht gerne gewaschen.
Nur eines der Hummelkinder kam überhaupt nicht. Es flog so schnell es konnte davon und versteckte sich in einer Osterglocke. Hier würde die Mutter das Kind bestimmt nicht finden und es lachte leise und vergnügt, als es sich vorstellte, wie die Geschwister nun gewaschen wurden.
Das Hummelkind setzte sich gemütlich hin und freute sich, dass es seiner Mutter einen Streich spielen konnte.
Die Sonne schien durch die Blütenblätter und das Hummelkind saß dort so warm und weich wie in einem goldenen Bett. Der Wind schaukelte die Osterglocke sanft wie eine Wiege hin und her und das Hummelkind schlief ein.
Doch während es schlief, schoben sich dicke graue Wolken vor die Sonne und es begann zu regnen.
Erst fielen nur kleine Tropfen aus den Wolken, doch dann wurden sie immer größer und immer zahlreicher.
Plötzlich fiel einer dieser Tropfen mitten in die Osterglocke hinein. Erschrocken wurde das Hummelkind wach.
Immer dicker wurden die Regentropfen und machten das Hummelkind ganz nass – und wie kalt das Regenwasser war! Hastig krabbelte es aus der Blüte heraus, schüttelte sich, dass die Wassertropfen aus seinem Fellhöschen herausspritzten und flog schnell nach Hause.
Da stand schon die Hummelmutter an der Türe und lachte, als sie ihr pitschnasses Kind sah.
„Siehst du“, rief sie, „so kann es gehen, wenn man nicht hören will! Wärest du gekommen, als ich gerufen habe, hätte ich dich mit warmem Wasser abgewaschen.“
Hinter der Mutter drängten sich die Geschwister, sie glänzten vor Sauberkeit, waren satt von ihrem Abendessen und sahen sehr zufrieden aus.
Ja, und dann nahm die Hummelmutter ein Tuch und rieb das Hummelkind so kräftig damit ab, dass es immer wieder „Aua! Aua!“ schrie, denn das Abrubbeln tat doch ein wenig weh.
Als die Mutter fertig war, setzte sie das Hummelkind neben den Ofen und gab ihm warmen, süßen Honigsaft zu trinken, damit es keinen Schnupfen bekam.
Nun war das Hummelkind satt und fühlte sich sehr warm und behaglich – zuhause war es doch schöner als in der Osterglocke.
Müde von seinem Abenteuer schlief das Hummelkind ein. Doch kurz vor dem Einschlafen nahm es sich fest vor, immer zu kommen, wenn die Mutter rief, denn man wusste ja nicht, was einem sonst alles passieren konnte.
© Gisela Brix
*mit freundlicher Genehmigung der Autorin / Aus ihrem Buch: "Kalle mit der grünen Mütze"
Im Garten wird es langsam lebendig. Gerda schaut hinaus und freut sich über die ersten Blumen des Frühlings. Die Krokusse leuchten in gelb, blau und weiß zu ihr ins Zimmer. Bald ist es soweit und Gerda kann in den Garten gehen und sich auf ihre Lieblingsbank am Teich setzen. Dort hat sie schon viele Stunden verbracht. Im Frühling ist es besonders schön. Die Vögel zwitschern und Gerda kann beobachten, wie sie damit beginnen Material für ihre Nester zu suchen. Nicht lange und die ersten Frösche sitzen am Teichrand und genießen die ersten Sonnenstrahlen. Ein bisschen traurig ist Gerda. Früher konnte sie hinaus gehen und ihren geliebten Garten bearbeiten. Das ist ihr nicht mehr möglich. Mit ihren achtzig Jahren ist Gerda zwar noch rüstig, doch der Rücken macht ihr Probleme und die Gartenarbeit muss ein Gärtner für sie machen. Wenn Paul noch bei ihr wäre, würde er bestimmt draußen sein und die Beete herrichten. Aber Paul ist vor zwei Jahren gestorben und Gerda muss alleine klarkommen. Zum Glück hat sie ihre Familie und die besucht sie regelmäßig. Manchmal fragt Marion, ob Gerda nicht lieber in ein Heim gehen will. Sie kann sich ein Zimmer nehmen oder eine kleine Wohnung. Solange sie sich alleine versorgen kann, will Gerda das nicht. Die alte Frau weiß, sie würde ihr Haus und ihren Garten vermissen.
Am Nachmittag ist die Sonne warm und Gerda wagt es sich in den Garten zu begeben. Sie hat sich eine warme Strickjacke angezogen und das Sitzkissen unter den Arm geklemmt. Am Teich angekommen, wischt sie die Bank sauber und macht es sich bequem. Gerda freut sich, als sie bald darauf ein Rotkehlchen sieht, das sich ihr ohne Scheu nähert. Sie lächelt.
„Hallo, mein kleiner Freund. Freust du dich, dass es endlich warm wird. Morgen kommt der Gärtner, dann findest du bestimmt den einen oder anderen Leckerbissen.“
Das Rotkehlchen hockt vor Gerda und betrachtet die alte Frau mit schief gelegtem Kopf. Es scheint Gerda, als ob der kleine Vogel sie verstehen würde. Einen Moment leistet er ihr noch Gesellschaft, dann beginnt er damit nach Futter zu suchen. Gerda beobachtet den Vogel. Ob es der Gleiche ist, den sie im Winter an ihrem Vogelhäuschen gesehen hat?
Gerda bleibt eine Weile sitzen und beschließt eine Runde durch den erwachenden Garten zu gehen. Mühsam erhebt sie sich. Ihr Rücken macht ihr sehr zu schaffen. Wenn sie erstmal in Bewegung ist, wird es bald besser. Gerda umrundet ihren Garten und entdeckt überall Anzeichen für den Frühling. Hier blühen die Krokusse, dort die Winterlinge. Auf einem Beet strecken die Tulpen und Narzissen ihre Triebe in die Höhe. Bald werden sie erblühen und noch mehr Farbe in den Garten bringen. Als Gerda weitergeht, entdeckt sie einen Vogel. Der Kleine sitzt in der Nähe des Hauses und sieht ziemlich mitgenommen aus. Gerda vermutet, dass er gegen die Fensterscheibe geflogen ist. Das passiert leider immer wieder und so mancher kleine Piepmatz hat solch einen Unfall nicht überlebt. Diese kleine Blaumeise scheint zwar angeschlagen, doch sie lebt. Vorsichtig nimmt Gerda den Vogel hoch und betrachtet ihn genauer. Beruhigend spricht sie auf ihn ein und bald merkt sie, wie er ruhiger wird. Gerda entscheidet, die Meise in ihr Vogelhäuschen zu setzen. Dort kann sich der Vogel erholen und ist vor den Katzen der Umgebung sicher. Nachdem sie die Meise abgesetzt hat, holt Gerda ein paar Körnchen vom Vogelfutter und Wasser. Diese Dinge werden dem kleinen Vogel gut tun.
Nachdem die Meise versorgt ist, merkt Gerda, wie müde sie geworden ist. Sie geht ins Haus, um sich auszuruhen. Der Frühling fängt gerade erst an und sie hat noch viel Zeit, um ihn zu genießen.
© Antje Steffen
*mit freundlicher Genehmigung der Autorin / Erschienen beim Elbverlag in der Anthologie „Frühling im Herzen Band 2“.
Elke Bräunling
Vom übereifrigen Monat Mai
“Tirili trala, der Mai ist da, tirili trala, nun bin ich da und bringe dem Land bunte Blüten, Wärme, Sonnenschein und eine Prise Liebe obendrein. Tirili, tralala …”
Singend und trällernd zog der junge Maimonat in den ersten Maitagen durchs Land. Er breitete weit die Arme aus, als wolle er die ganze Welt umarmen.
“Schön ist das Leben! Oh, wie schön.” Er tänzelte über Wiesen, Parks und Felder, durchwanderte enge Täler, hohe Berge und weite Wälder und rief überallhin seine Botschaft: “Ich, der Mai, bin da! Ich, der Freund der Sonne und bunten Farben, bringe Liebe und Freude für die Natur, für alle Leute.”
Stirnrunzelnd beobachteten seine Monatskollegen die Wanderschaft des Mais durchs Land.
“Warum muss er bloß immer so schamlos übertreiben!”, stöhnte der Juli. “Er weiß genau, dass ich für die Wärme zuständig bin.”
“Am liebsten würde ich ihm einen kalten Hagelschauer übers eitle Haupt schütten”, brummte der Januar.
“Oder eine Nebelfront”, schlug der November griesgrämig vor.
Fast jeder Monat hatte einen anderen Vorschlag, wie man den übermütigen Maikerl ein wenig mäßigen könnte.
“Lasst ihm doch seine Freude”, meinte der alte weise Dezember schließlich. “Möge er seine Jugend genießen und sich am Leben freuen.”
“Und diese Freude soll er den Menschen weitergeben”, warf der September ein.
“Und die Liebe”, kicherte der Februar. “Hört ihr? Die Liebe!”
Ja. Die Liebe. Galt der Mai nicht als Wonnemonat der Liebenden? Na bitte!
Schmachtend beobachteten die Monate das fröhliche Tun des Mais. Doch irgendwann, nach zehn, elf, zwölf Tagen wurde es ihnen dann doch zuviel.
“Er verdreht mir den Menschen zu sehr die Köpfe”, beschwerte sich der August. “Das ist nicht fair.”
“Stimmt”, heulten Juni und Juli auf. “Wie sollen wir als strahlende Sommermonate erscheinen, wenn uns der Mai, dieser Schnösel, alle Trümpfe aus der Hand nimmt?”
“Recht habt ihr”, warfen März und April ein. Sie schmollten ein wenig, weil der Mai ihnen wieder einmal – wie jedes Jahr – die Schau stehlen wollte. “Tut etwas!”
“Okay!!!”, riefen die Herbst und Wintermonate einstimmig und warfen – kling-klong – ein paar Prisen Kälte, Wolken- und Windwetter und ein paar Hände voller Eiskristalle auf das Haupt des Mai hernieder.
Tja, und der Mai schwieg dann für eine Weile. Still und bescheiden setzte er sich in einen blühenden Kastanienbaum und ruhte sich aus. Ein paar Tage nur, die Zeit der Eisheiligen.
© Elke Bräunling
*mit freundlicher Genehmigung der Autorin
*Mein Dank gilt Elke Bräunling - Weitere ihrer Geschichten findet Ihr auf www.elkeskindergeschichten.de